2012-03-19

EX LIBRIS

Jasper Cepl und Karl-Heinz Petzinka

Am 19.März fand die dritte Veranstaltung von EX LIBRIS statt, bei der zwei Bücher aus der Bibliothek des Ungers Archiv für Architekturwissenschaft vorgestellt wurden. Dipl.-Ing. Dr. Jasper Cepl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet der Architekturtheorie an der TU Berlin, stellte das Manifest „L´architettura futurista" von Antonio Sant ´Elia, Mailand 1914 vor. Karl-Heinz Petzinka, Architekt und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Klasse Baukunst, sprach über das Buch von Paul Wijdeveld, „Ludwig Wittgenstein - Architekt", Basel 1994.

Bericht des Internetmagazins koelnarchitektur.de vom 23.03.2012, Autorin: Ira Scheibe


WITTGENSTEIN BAUT, DIE FUTURISTEN NICHT

Die besten Ideen sind immer die ganz nahe liegenden. Das Ungers Archiv für Architekturwissenschaft (UAA) bewahrt eine kostbare Architekturbibliothek mit vielen Erstausgaben und Sonderdrucken. Lesungen ließen sich mit ihnen eher schwerlich bestreiten. Wie gehen aber Achitekturschaffende mit diesem Erbe um? In der Reihe Ex Libris sind jeweils zwei Architekten eingeladen, ein Werk ihrer Wahl vorzustellen. Ein zahlreiches, mittlerweile kann man sagen Stamm-Publikum verfolgt gespannt, was sie zutage fördern.

Jeder Generation ihre eigene Stadt

Dr. Jasper Cepl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Architekturtheorie an der TU Berlin, besprach das Manifest L´architettura futurista, „Die futuristische Architektur“ von Antonio Sant’Elia. Im Frühjahr 1914 präsentierte der Architekt Sant’Elia Projekte für eine cittá nuova, eine neue Stadt, und arbeitete etwas später den zu dieser Ausstellung erschienenen Text zum Manifest aus. Viele Ideen Marinettis, der seine Programmschrift des Futurismus schon 1909 in Le Figaro veröffentlicht hatte, flossen hier ein. Viel zu wälzen hatte der Referent des Abends also nicht, inklusive Abbildungen kommt die Schrift auf ganze vier Seiten.

Für weitschweifige Theorien hatten die Futuristen allerdings auch keine Zeit, ein paar markige Sätze hingeworfen und gut. Doch selbst das heutige Publikum, mit allen Wassern gewaschen, stieß sich an den scharfkantigen Aussagen, die Cepl zitierte, wie diese von Marinetti: „Wir wollen den Krieg verherrlichen — diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“ Schon mit 28 Jahren war es so weit, Sant‘Elia starb 1916 auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs.

Der lärmende Abgrund

Wie soll die futuristische Stadt sein? Das Haus, so Sant’Elia, „erhebt sich am Rande eines lärmenden Abgrundes“, darin mehrgeschossige Straßen, Untergrundbahnen und Rolltreppen. „(…) die Grundeigenschaften (…) werden Hinfälligkeit und Vergänglichkeit sein. Die Häuser werden kurzlebiger sein als wir. Jede Generation wird sich ihre eigene Stadt bauen müssen.“ Durch seinen frühen Tod blieb Sant’Elias Einfluss auf das reale Baugeschehen seiner Zeit gering. Doch heute dürfte ihm Einiges bekannt vorkommen.

Karl-Heinz Petzinka, Architekt und Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Klasse Baukunst, nahm sich das Buch „Ludwig Wittgenstein – Architekt“ von Paul Wijdeveld vor, das 1994 erschienen ist. Margarethe Stonborough hatte 1925 den Architekten und Freund Wittgensteins Paul Engelmann mit der Planung und dem Bau eines Stadtpalais in Wien beauftragt. Dessen Pläne trafen jedoch nicht die Vorstellungen der Bauherrin, und Wittgenstein wurde überzeugt, das Haus für seine Schwester selbst zu bauen. Es hat die Zeiten überstanden und wird heute als bulgarisches Kulturinstitut genutzt.

„Schön hast du’s.“

Das Wittgenstein-Haus, „Abbild logischer Präzision,“ so Petzinka, entstand nach zwei Jahren Planung. Jedes Fenster, jede Tür zeichnete Wittgenstein mit höchster Genauigkeit, wie bei einer Maschine gab es kein überflüssiges Teil. Alles wurde auf das Wesentliche reduziert. Die Proportionen im Detail sowie im Ganzen sind konsequent durchdacht und aufeinander bezogen: Wittgensteins Bau ist reines Maßwerk. Inneneinbauten waren nicht vorgesehen, das gesamte Mobiliar war beweglich: „Schön hast du’s,“ lobte Wittgenstein nach der Fertigstellung seine Schwester.
Für Petzinka illustriert der Bau, wie irreführend der äußere Anschein sein kann: „Wir vertun uns, weil wir etwas nicht verstanden haben.“ Das Gebäude sieht aus wie die Moderne à la Adolf Loos, beschäftigt man sich aber näher damit, erkennt man die Umsetzung antiker Ordnungsprinzipien. Wittgenstein selbst scheint sein Versuch der gebauten Theorie nicht überzeugt zu haben, das Bauen gibt er auf. Jahre später sagt er zu einem Freund und Schüler: „Sie glauben, die Philosophie sei ein schwieriges Geschäft, aber ich kann Ihnen sagen: Verglichen mit den Schwierigkeiten, die in der Architektur stecken, ist das gar nichts.“

Die Veranstaltung fand statt durch die freundliche Unterstützung von

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